Die Eigenbedarfskündigung

Die Eigen­be­darfs­kün­di­gung ist in vie­len Fäl­len die unkom­pli­zier­tes­te Mög­lich­keit für einen Ver­mie­ter, einen Woh­nungs­miet­ver­trag zu been­den. Doch auch hier ist eini­ges zu beachten.

1. Für wen kann Eigenbedarf geltend gemacht werden?

Nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB kann ein Ver­mie­ter Eigen­be­darf nicht nur für sich per­sön­lich, son­dern auch für sei­ne Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen und Ange­hö­ri­ge sei­nes Haus­halts gel­tend machen.

a) Familienangehörige

Der Kreis der Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen umfasst

Wenn im Ein­zel­fall ein beson­ders enges Ver­hält­nis zum Ver­mie­ter besteht, kön­nen auch ent­fern­te­re Ver­wand­te wie Schwä­ger (Urteil des BGH vom 3.3.2009 — VIII ZR 247/08) oder sogar ein Groß­nef­fe dazu­ge­rech­net werden.

b) Haushaltsangehörige

Zu den Ange­hö­ri­gen des Haus­halts zäh­len z.B.

  • Haus­halts­hil­fen oder
  • Pfle­ge­per­so­nal für Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, die im Hau­se leben.

2. Eigenbedarf für Zweitwohnung

Der Ver­mie­ter benö­tigt die Miet­woh­nung im Sin­ne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht nur, wenn die ein­zugs­be­rech­tig­te Per­son ihren Haupt­wohn­sitz dort begrün­den möch­te. Auch die beab­sich­tig­te Nut­zung als Zweit­woh­nung kann gem. Beschluß des BGH vom 22.8.2017 — VIII ZR 19/17 aus­rei­chend sein. Hier sind aller­dings die Umstän­de des Ein­zel­falls zu berück­sich­ti­gen. Eine “Min­dest­nut­zungs­dau­er” hat der BGH daher nicht festgelegt.

3. Eigenbedarf für die Ferienwohnung

Genau­so kann der Wunsch des Ver­mie­ters nach Nut­zung der Woh­nung als Feri­en­woh­nung für sich und sei­ne Fami­lie einen Kün­di­gungs­grund dar­stel­len. Der BGH hat mit Beschluß vom 21.8.2018 — VIII ZR 186/17 aller­dings auch hier klar­ge­stellt, daß eine Ein­zel­fall­prü­fung ent­schei­dend sei.  Zu prü­fen ist, ob der Eigen­nut­zungs­wunsch des Ver­mie­ters ernst­haft ver­folgt wird und von ver­nünf­ti­gen und nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den getra­gen ist oder ob er miss­bräuch­lich ist.

4. Eigenbedarf aus beruflichen Gründen

Wenn das Miet­ob­jekt nicht nur zu Wohn­zwe­cken, son­dern z.B. auch als Pra­xis oder Büro­raum nutz­bar ist, kann der Eigen­tü­mer auch dafür Eigen­be­darf gel­tend machen. Dies hat der BGH mit Urteil vom 26.9.2012 —  VIII ZR 330/11 entschieden.

Mit Urteil vom 29.3.2017 —  VIII ZR 45/16 hat der BGH wei­ter dar­auf hin­ge­wie­sen, daß immer die Umstän­de des Ein­zel­falls zu beach­ten sind, wenn der Ver­mie­ter den Eigen­be­darf nicht nur zum Woh­nen, son­dern auch für beruf­li­che Zwe­cke gel­tend macht. Auch die Absicht des Ver­mie­ters, die Woh­nung  für eine wirt­schaft­li­che Betä­ti­gung zu ver­wen­den, ist vom Schutz­be­reich der Eigen­tums­ga­ran­tie des Grund­ge­set­zes umfaßt.

  • Soweit der Ver­mie­ter in einer Mehr­zim­mer­woh­nung nur einen Raum als Büro nut­zen will, z.B. im Rah­men eines Home­of­fice, dürf­te im Regel­fall Eigen­be­darf gege­ben sein. Woll­te man dem Ver­mie­ter eine sol­che Nut­zung ver­weh­ren, so wür­de das eine beach­tens­wer­te Behin­de­rung sei­ner Berufs- und Lebens­pla­nung darstellen.
  • Will ein Ver­mie­ter die Woh­nung aller­dings aus­schließ­lich zu geschäft­li­chen Zwe­cken nut­zen, müs­sen wei­te­re Umstän­de hin­zu­tre­ten, um eine Eigen­be­darfs­kün­di­gung zu recht­fer­ti­gen. Denk­bar wäre das z.B. wenn der Ver­mie­ter sein Geschäft sonst nicht ren­ta­bel füh­ren könn­te oder sei­ne Geschäfts­räu­me in unmit­tel­ba­rer Nähe zu sei­ner Woh­nung gele­gen sein müs­sen, weil er Kin­der oder pfle­ge­be­dürf­ti­ge Per­so­nen zu betreu­en hat.

5. Wer darf Eigenbedarf geltend machen?

Eigen­be­darf kann nicht nur der Eigen­tü­mer des Miet­ob­jekts gel­tend machen. Der BGH hat mit Urteil vom 14.12.2016 — VIII ZR 232/15 ent­schie­den, daß auch ein Gesell­schaf­ter einer Gesell­schaft bür­ger­li­chen Rechts (GbR) für sich oder einen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen Eigen­be­darf gel­tend machen darf. Das setzt natür­lich vor­aus, daß sei­ne Mit­ge­sell­schaf­ter ein­ver­stan­den sind. Ob vie­le Ver­mie­ter von die­ser Mög­lich­keit Gebrauch machen, das Eigen­tum an einer Miet­woh­nung an eine GbR zu über­eig­nen, damit ein Mit­ge­sell­schaf­ter Eigen­be­darf gel­tend machen kann, bleibt abzuwarten.

6. Vollmacht nach Kauf

Oft wird eine Woh­nung im Hin­blick dar­auf gekauft, daß der Käu­fer selbst dort ein­zie­hen möch­te. Eigen­be­darf kann er aber erst gel­tend machen, wenn

  • er Eigen­tü­mer der Woh­nung gewor­den ist. Das ist nach § 873 Abs. 1 BGB erst mit Ein­tra­gung im Grund­buch der Fall.
  • der Ver­käu­fer ihm im Kauf­ver­trag bereits vor Grund­buch­ein­trag die Gel­tend­ma­chung von Rech­ten zu einem bestimm­ten Stich­tag überträgt.

Letz­te­res ist üblich, da der Grund­buch­ein­trag nach Abschluß des Kauf­ver­tra­ges eini­ge Zeit in Anspruch neh­men kann. Der Käu­fer tut in die­sem Fal­le aber gut dar­an, sich vom Ver­käu­fer eine Ori­gi­nal­voll­macht für eine Eigen­be­darfs­kün­di­gung aus­stel­len zu las­sen. Das OLG Mün­chen hat mit Beschluß vom 21.10.2019 — 7 U 3659/19 dar­auf hin­ge­wie­sen, daß der Mie­ter eine Kün­di­gung gem. § 174 BGB zurück­wei­sen kann, wenn ihm z.B. nur der Kauf­ver­trag ohne Ori­gi­nal­voll­macht des Ver­käu­fers vor­ge­legt wird. 

7. Inhalt der Kündigung

In der Kün­di­gung muß der Ver­mie­ter den Eigen­be­darf begrün­den. Er muß erklä­ren, wor­in sein berech­tig­tes Inter­es­se i. S. v. § 573 BGB an der Kün­di­gung liegt. Die Kri­te­ri­en dafür hat der BGH mit Urteil vom 15.3.2017 — VIII ZR 270/15 klar­ge­stellt. Danach muß der Vermieter

  • die Per­so­nen benen­nen, für die er Eigen­be­darf gel­tend macht
  • das Inter­es­se dar­le­gen, das die­se Per­so­nen am Ein­zug in die Woh­nung haben.

Wei­te­re Anga­ben — etwa zu den aktu­el­len oder alter­na­tiv bestehen­den Wohn­mög­lich­kei­ten der ein­zugs­wil­li­gen Per­so­nen — soll­te der Ver­mie­ter im Hin­blick dar­auf machen, daß ein Gericht im Streit­fall über­prü­fen kann, ob der Eigen­be­darf miß­bräuch­lich ist, weil z.B.

  • für eine ein­zel­ne Per­son ein weit über­höh­ter Wohn­be­darf gel­tend gemacht wird
  • die Woh­nung den Nut­zungs­wün­schen der ein­zugs­wil­li­gen Per­son über­haupt nicht entspricht
  • der Wohn­be­darf in einer ande­ren, leer­ste­hen­den Woh­nung des Ver­mie­ters ohne wesent­li­che Abstri­che genau­so befrie­digt wer­den kann.

8. Vertrauensschutz des Mieters

Unter Umstän­den kann eine Eigen­be­darfs­kün­di­gung unwirk­sam sein, wenn der Ver­mie­ter bereits bei Ver­trags­ab­schluß wuß­te oder abse­hen konn­te, daß er oder Mit­glie­der sei­ner Fami­lie oder sei­nes Haus­halts in abseh­ba­rer Zeit selbst ein­zie­hen wol­len wür­den. Der BGH hat mit Urteil vom 20.3.2013 — VIII ZR 233/12 ent­schie­den, daß eine Kün­di­gung nur dann nicht rechts­miß­bräuch­lich ist, wenn der Ein­tritt des Eigen­be­darfs vor Abschluß des Miet­ver­tra­ges nicht abseh­bar war. Ein Mie­ter muß in sol­chen Fäl­len vor Unter­zeich­nung des Miet­ver­tra­ges über sol­che Even­tua­li­tä­ten infor­miert wer­den. Er muß frei ent­schei­den kön­nen, ob er trotz einer viel­leicht schon in einem Jahr anste­hen­den Eigen­be­darfs­kün­di­gung ein­zie­hen will.

Fällt der Eigen­be­darf uner­war­tet bis zum Ablauf der Kün­di­gungs­frist weg, hat der Ver­mie­ter den Mie­ter eben­falls auf die­sen Umstand hin­zu­wei­sen (Urteil des BGH vom 9.12.2020 — VIII ZR 238/18). Dem Mie­ter steht es dann frei, ob er bleibt oder einen etwa schon geplan­ten Umzug doch aus frei­en Stü­cken durchführt.

9. Muß der Vermieter eine Ersatzwohnung anbieten?

Bis­lang war eine Eigen­be­darfs­kün­di­gung unwirk­sam, wenn der Ver­mie­ter eine leer ste­hen­de Woh­nung im sel­ben Haus zur Ver­fü­gung hat­te und die­se dem Mie­ter nicht ersatz­wei­se anbot. Die­se Ver­pflich­tung besteht nach dem Urteil des BGH vom 14.12.2016 — VIII ZR 232/15 zwar wei­ter­hin. Die Kün­di­gung ist aber nicht mehr als unwirk­sam anzu­se­hen, wenn der Ver­mie­ter sich nicht dar­an hält.

Kon­se­quen­zen hat eine sol­che Unter­las­sung den­noch: dem Mie­ter steht Scha­den­er­satz zu, sofern er Nach­tei­le erlei­det, weil ihm die Ersatz­woh­nung nicht ange­bo­ten wor­den ist. Sol­che Nach­tei­le kön­nen z.B. in höhe­ren Umzugs­kos­ten oder einer höhe­ren Mie­te bestehen, wenn der Mie­ter sonst nur eine ent­spre­chend teu­re­re Woh­nung findet.

10. Widerspruch und Härtefall

Dem Mie­ter bleibt in Aus­nah­me­fäl­len nur noch der Wider­spruch gegen die Kün­di­gung. Der Wider­spruch muß jedoch mit einem der in § 574 BGB gere­gel­ten Här­te­fäl­le begrün­det wer­den. Als Här­te­fall gilt danach:

  • die Been­di­gung des Miet­ver­hält­nis­ses bedeu­tet für den Mie­ter, sei­ne Fami­lie oder einen ande­ren Ange­hö­ri­gen sei­nes Haus­halts eine Här­te, die auch unter Wür­di­gung der berech­tig­ten Inter­es­sen des Ver­mie­ters nicht zu recht­fer­ti­gen ist;
  • ange­mes­se­ner Ersatz­wohn­raum kann nicht zu zumut­ba­ren Bedin­gun­gen beschafft werden.

Der Mie­ter trägt dabei die Beweis­last für das Vor­lie­gen eines Här­te­falls. Die blo­ßen Umstän­de, die mit einem Umzug gewöhn­lich zusam­men­hän­gen, sind nicht als Här­te­fall zu wer­ten. Der BGH hat mit Urteil vom 22.5.2019 — VIII ZR 180/18 klar­ge­stellt, daß nur im Wege einer Ein­zel­fall­prü­fung fest­ge­stellt wer­den kann, ob ein Här­te­fall vor­liegt. Pau­scha­le Bewer­tun­gen z.B. dahin, daß

  • bei hohem Alter des Mie­ters regel­mä­ßig ein Här­te­fall vor­liegt oder
  • Ersatz­wohn­raum zu zumut­ba­ren Bedin­gun­gen nicht beschafft wer­den kann, nur weil im Gemein­de­ge­biet gerichts­be­kannt eine ange­spann­te Wohn­la­ge herrscht

ver­bie­ten sich damit. Es ist also nicht zuläs­sig, Kate­go­rien zu bil­den, in denen gene­rell die Inter­es­sen einer Sei­te über­wie­gen. Die vom Ver­mie­ter beab­sich­tig­te Lebens­pla­nung ist grund­sätz­lich zu respektieren.

Das Gericht wird also im Ein­zel­fall prü­fen, was für ein Ersatz­wohn­raum für den Mie­ter nach sei­nen finan­zi­el­len und per­sön­li­chen Ver­hält­nis­sen zumut­bar ist und ob er wirk­lich in aus­rei­chen­dem Maße danach gesucht hat (s. Urteil des BGH vom 11.12.2019 — VIII ZR 144/19).